Der lange Weg ins Land der Liebe
Homosexuelle Flüchtlinge im Nordwesten
Von NWZ-Redakteurin Inga Wolter
Zum 22. Mal findet in Oldenburg in diesem Jahr der CSD Nordwest statt. Tausende Menschen versammeln sich an einem Samstag im Juni zum Demonstrieren und Feiern in der Innenstadt. Es werden vielleicht ein paar Menschen dabei sein, die vorher noch nie bei einem Christopher Street Day waren.
Die bis vor kurzem noch nicht einmal jemandem anvertraut haben, dass sie lesbisch, schwul oder transsexuell sind - von einem Coming-out ganz zu schweigen. Die in ihrer Heimat aufgrund ihrer sexuellen Orientierung in Angst leben mussten.
Auf der Suche nach Schutz kamen 2015 fast 1,1 Millionen Flüchtlinge nach Deutschland. Wenn man davon ausgeht, dass 3 bis 10 Prozent der Bevölkerung homosexuell sind, reisten im vergangenen Jahr 3.000 bis 10.000 homosexuelle Flüchtlinge ein.
Krieg, Arbeit, Diskriminierung - geflohen sind sie meistens gleich aus mehreren Gründen. Ihr Leben in Angst geht nach der Flucht weiter - zwei Flüchtlinge im Nordwesten erzählen, was aus ihrer Hoffnung auf ein Leben in Freiheit und Liebe wurde.
Ahmad* wusste, dass er etwas tun musste, um lebendig zu bleiben. „Das ist mein Leben“, sagte er sich – und verließ seine Heimat Afghanistan.
Dort hatte er für die US-Botschaft als Sicherheitsmann und Dolmetscher gearbeitet, wie er beim Treffen in Bremen erzählt. Er war also für Ausländer tätig. „Meine Familie machte sich große Sorgen“, sagt der 26-Jährige. Denn immer war klar: Wenn die Taliban von seiner Arbeit erfahren würden, könnte die Terrororganisation ihm drohen, ihm etwas anzutun. Manchmal fühlte Ahmad sich verfolgt.
Aber sein risikoträchtiger Job war nicht der einzige Grund für seine Flucht, die ihn über den Iran, die Türkei und nach einer Bootsfahrt über das Mittelmeer via Griechenland letzendlich nach Deutschland führte.
Ahmad ist schwul. Wenn ein Afghane Männer liebt, muss er sich verstecken. Er hat keine Chance, sich mit anderen Schwulen zu treffen. Er kann sich noch nicht einmal seiner engsten Familie – Mutter, Vater, Geschwistern – anvertrauen. Das ist eine riesige Last, setzt einen unter Druck – besonders wenn ab einem gewissen Alter die Fragen kommen, warum man sich keine Frau sucht, nicht heiratet.
„Ich fühlte mich allein“, sagt Ahmad. Mit wem sollte er sich über seine Gefühle austauschen? „Andere verstanden mich oft nicht.“ Noch schlimmer als das Alleinsein aber war die Angst. „In meiner Heimat gibt es keine Rechte für Homosexuelle. Vielleicht hätten die Leute mit Steinen nach mir geworfen, wenn sie es herausgefunden hätten.“
Mutter und Vater wissen bis heute nicht von Ahmads Schwulsein. „Auf gar keinen Fall“, da ist er sich sicher. Auch nach seiner Flucht, weit weg von zu Hause, will er es den Eltern nicht sagen: „Sie könnten mich verstoßen.“ Er will sie aber behalten, will ihr Sohn bleiben. „Ich bin zum ersten Mal so weit weg von zu Hause. Ich vermisse sie. Manchmal spreche ich mit ihnen. Dann fühle ich mich besser.“
Ahmads Freund, Omar*, geht es ähnlich. Durch einen Zufall lernten sich die beiden kennen. Sie wohnten im selben Flüchtlingsheim, kannten sich also und sahen sich in einer Dating-App für Schwule. Sie wurden kein Paar, aber freundeten sich an. Sie mussten vorsichtig sein, denn schnell würden die anderen Flüchtlinge Verdacht schöpfen: Wenn sich ein Afghane und ein Syrer treffen, ist das nicht nur ungewöhnlich, sondern verdächtig.
Omar floh aus Syrien, über den Irak, die Türkei und von dort weiter mit dem Boot nach Griechenland. Von dort ging es weiter nach Makedonien, Serbien, Ungarn, Österreich - und schließlich kam er in Deutschland an. Das war im September 2015. 25 Tage dauerte die Flucht des 25-Jährigen. Nun lebt er in einem Flüchtlingsheim in Bremen.
Der Krieg war der erste Grund für seine Flucht, seine Homosexualität der zweite. Wenn in Syrien jemand erfahren hätte, dass er schwul ist, hätte man ihm womöglich „den Kopf abgeschlagen“, erzählt er heute. Mit dem Islamischen Staat sei die Situation noch schlimmer als zuvor geworden.
Die Fragen nach der Freundin, die er nie hatte, setzten auch ihn unter Druck. Dann die Skepsis: Warum er denn nur mit Männern unterwegs war? „Hier in Deutschland leben wir im Luxus, hier darf jeder machen was er will.“ Omar hat ein großes Stück Freiheit gewonnen, aber vorbei ist das Versteckspiel noch nicht. Er kann sich zwar mit anderen Männern verabreden, treffen, Dating-Apps benutzen, seine Freiheit genießen. Das alles durfte er vorher nicht. Aber: Im Flüchtlingsheim muss er sich weiter verstecken, wie schon in der Heimat.
„Fast 300 Menschen aus Syrien leben dort“, berichtet er. Wenn die von seiner Homosexualität erfahren würden, könnte ihm auch hier Schlimmes widerfahren: Beleidigungen, Ausgrenzung, Gewalt. Genau das passierte einem Freund von ihm in einem Flüchtlingsheim in Köln. Andere Flüchtlinge hörten von seiner Homosexualität und verprügelten ihn. Omar hat sich im Heim einer Sozialarbeiterin anvertraut. Sie empfahl ihm, sich an einen Verein für Lesben und Schwule zu wenden. Um Hilfe und Kontakte zu bekommen.
Omar hat auch Angst davor, dass andere Syrer aus dem Flüchtlingsheim es seinen Eltern erzählen, wenn sie es herausfinden. „Dann kann ich meine Familie vergessen.“ Er glaubt nicht, dass sie ihn umbringen lassen würde, wie es in solchen Fällen manchmal geschieht. Sein Bruder, der auch in Deutschland lebt, weiß von Omars Homosexualität. Er hatte es per Zufall herausgefunden – weil er Fotos von Männern auf Omars Smartphone entdeckte. „Erst schimpfte er mit mir“, sagt Omar. „Dann aber akzeptierte er es.”
Es wäre schon besser, wenn es getrennte Unterkünfte für homosexuelle Flüchtlinge geben würde, finden Omar und Ahmad. Es sollte kein Heim sein, eine Wohngemeinschaft wäre gut. Das deckt sich mit den Plänen der Stadt Oldenburg. Der Ausschuss für Integration und Migration diskutierte kürzlich den Umgang mit LGBTI unter Flüchtlingen. „Offiziell hatten wir noch nicht mit dem Thema zu tun“, sagt Sozialdezernentin Dagmar Sachse.“ Aber grundsätzlich wäre es ja denkbar, dass Fragen oder Probleme auftauchten.
Lesben und Schwule könnten in Oldenburg gut leben, aber das wüssten die Flüchtlinge ja nicht unbedingt, sagt Sachse. So setzte sie sich mit zwei Vertretern von Lust e.V. zusammen. Auf keinen Fall sollte man ein gesondertes Flüchtlingsheim schaffen, rieten Kai Bölle und Clemens Sieverding. Dadurch würde man die Menschen nur zusätzlich stigmatisieren. Einzelne Wohnungen seien besser, um einen geschützten Raum zu bieten. „Dabei sind wir aber auf Menschen angewiesen, die uns Wohnungen zur Verfügung stellen“, sagt Dagmar Sachse. „Wir haben nicht den Spielraum, jemanden sofort unterzubringen.“ So soll es also laufen, wenn Flüchtlinge von Problemen in ihren Unterkünften berichten. Dazu müssten sie sich aber erst einmal outen.
“Wir haben vor allem auf die Dolmetscherproblematik hingewiesen”, sagt Kai Bölle. Wenn jemand erzählt, dass er schwul ist und deshalb verfolgt wird, übersetzen Dolmetscher das manchmal falsch, benutzen vielleicht sogar Schimpfwörter. Weil sie aus dem gleichen Land kommen und ein anderes Weltbild haben, in dem Homosexuelle keinen Platz haben. Für den Verfolgten kann die falsche Übersetzung böse Folgen haben: Er wird im schlimmsten Fall zurück in seine Heimat geschickt.
Bei der Information müsse man sensibel vorgehen, sagt Dagmar Sachse. Darum sollen auf keinen Fall Infoplakate speziell zum Thema Homosexualität in Flüchtlingsheimen ausgehängt werden. Besser sei es, in einer allgemeinen Infobroschüre für Flüchtlinge eine Seite mit Tipps für LGBTI zu gestalten. Auch sollten Mitarbeiter sensibilisiert werden: „Wir wollen ihren Blick für Personen schärfen, die besonders schützenswert sind.“
Das Zentrale Flüchtlingsmanagement soll in Abstimmung mit Lust e. V., dem Na-Und-Verein und der Aids-Hilfe den Rahmen für eine schnelle Hilfe schaffen. Auch soll eine Arbeitsgruppe das Gewaltschutzkonzept des Landes Niedersachsen für die Stadt Oldenburg „übersetzen“.
Ein riesiger Handlungsdruck bestehe nicht. Schließlich sei vermutlich nur ein sehr kleiner Teil der Flüchtlinge betroffen. “Statistisch gesehen müsste es in Oldenburg eine Handvoll homosexuelle Flüchtlinge geben”, sagt Bölle. Zur Oldenburger “Rosa Disco” im Kommunikationszentrum Alhambra kamen ab und zu einige dazu, wie Christian von Manikowsky vom “Na Und”-Verein erzählt.
„In manchen Städten gibt es Cafés für lesbische und schwule Flüchtlinge“, sagt Dagmar Sachse. Der Verein “Rat & Tat” in Bremen bietet seit November ein “Information Café for Queer Refugees“ an. Oldenburg sei dafür vielleicht ein bisschen zu klein. „Aber wer weiß, was sich in der Zukunft entwickelt.“
Ahmad hatte Glück. Er lernte in Deutschland einen Mann kennen, verliebte sich. Sechs Monate ist er nun hier, seit einem Monat hat er eine eigene Wohnung. Er hilft seinem Freund im Job, verdient also etwas Geld. Ehrenamtlich engagiert er sich als Übersetzer für das Rote Kreuz – „egal, zu welcher Uhrzeit“, wie er sagt. Es sei immer besser etwas zu tun als dazusitzen. Er wundert sich, warum er noch keinen Deutschunterricht bekommt.
In Afghanistan arbeitete Ahmad neben seinem Job für die US-Botschaft manchmal also Fotomodell. Er sollte auch auf den Catwalk. Doch dazu kam es vor seiner Flucht nicht mehr. Der Job war gleichzeitig ein Grund, warum er das Land verließ. Nun hofft Ahmad, hier weiter als Modell arbeiten zu können.
Omar würde am liebsten Architektur studieren. Wegen des Krieges in Syrien musste er sein Wirtschaftsstudium nach einem Jahr beenden. Er würde gerne nach Düsseldorf oder Berlin, am liebsten aber in die USA gehen. Dort stellt er sich die Einbürgerung einfacher, das Leben multikultureller vor. „In Deutschland bleibe ich immer ein Ausländer“, meint er.
Ihren Familien wollen Omar und Ahmad nie von ihrem Schwulsein erzählen. „Aber wer weiß, was in der Zukunft passiert“, sagt Omar.
* Namen von der Redaktion geändert
Sie öffnen Türen, die lange verschlossen waren: Ellen Kiebacher (36) und Claas Hüer (39) von der Aids-Hilfe in Oldenburg begleiten LGBTI-Flüchtlinge auf ihrem Weg zum Asylantrag - und zum Coming-out.
Der Umgang mit homosexuellen Flüchtlingen ist kein neues Thema für die beiden. Bereits seit zehn Jahren betreut die Aids-Hilfe in Oldenburg homosexuelle Migranten. Klar, bei den Flüchtlingen sprechen die beiden über einen ganz kleinen Teil der Menschen, die in die Huntestadt kommen. Den sie aber deutlich zu spüren bekommen. “Seit letztem Jahr gibt es mehr Neuzugänge in kurzer Zeit”, sagt Ellen Kiebacher, die sich vor Ort, in den Flüchtlingsheimen, um die Prävention zu HIV und Aids kümmert, und dabei auch homosexuelle Flüchtlinge berät.
Wenn sie von ihrer Arbeit erzählt, wird schnell klar: Hier geht es nicht um Zahlen. Hier geht es um Menschen, um einzelne Schicksale. “Für uns steht die Intensität der Problematik im Vordergrund”, sagt Ellen Kiebacher. Es gehe um die Frage, ob Menschen frei leben können. “Es dauert meistens sehr lange, bis sich ein Flüchtling outet.”
Nicht alle schwulen Flüchtlinge kommen nach Deutschland, weil sie schwul sind. Aus Syrien fliehen sie, weil dort Krieg ist. Ihre Homosexualität ist zweitrangig. Flüchtlinge, die aufgrund ihrer sexuellen Identität ihre Heimat verlassen, kommen zurzeit vor allem aus den Maghreb-Staaten, sagt Ellen Kiebacher. Die nun aber als “sichere Herkunftsstaaten” eingestuft wurden. Hier geht es auch um politische Fragen: “Solange sich ein schwuler Marokkaner in seiner Heimat versteckt, passiert nichts. Aber was ist, wenn er entdeckt wird?”, gibt Ellen Kiebacher zu bedenken.
Ihre Arbeit ist aufwendig - weil sie interkulturell ist und teilweise im Verborgenen stattfindet. “In den Flüchtlingsheimen muss ich mit vielen anderen sprechen, damit es nicht so aussieht, als hätte ich mich nur mit einem Flüchtling getroffen”, erzählt Ellen Kiebacher. Wenn sie Kontakt geknüpft hat, dauert es oft lange, bis die Menschen Vertrauen fassen und sich ihr öffnen. “Wir reden hier von keinem deutschen Setting”, sagt Claas Hüer. “Tee oder Kaffee und wir reden drüber - so läuft das nicht.” Die Mentalität ist eine andere. Probleme werden in Deutschland oft aktiv und schnell angegangen, in anderen Kulturen braucht es viel mehr Zeit und Vertrauen. Hinzu kommen Fluchttraumata, die erst einmal im Vordergrund stehen.
Auch kann es Probleme bei der Übersetzung geben. “Wir haben gute Dolmetscher für Arabisch”, sagt Claas Hüer. Aber: Es gibt viele Dialekte. Auch unterscheidet sich der Umgang mit Sexualität in arabischen Staaten oft so sehr von unserem, dass es für einiges gar keine Wörter gebe - was die Kommunikation zusätzlich erschwere.
Ellen Kiebacher und Claas Hüer betreuen vor allem Männer um die 20, zumeist mit gutem Bildungsabschluss. Manche wurden von ihren Familien verstoßen. Manche dürfen in ihrer Heimat aufgrund ihrer Homosexualität nicht studieren, sind von Bildung ausgeschlossen. Andere wissen, dass Freunde oder Bekannte von ihren Nachbarn verprügelt oder gar ermordet wurden. Und dass auch sie in Gefahr sind. Das Verstecken hört hierzulande nicht auf.
“Der Druck in den Flüchtlingsheimen ist groß”, sagt Ellen Kiebacher. Auch in Oldenburg. Hunderte Menschen hausen dort auf engem Raum, oft ohne Perspektive. “Alles dreht sich um den Aufenthaltstitel und um das Geschehen vor Ort. Da erhält Gewicht, was andere machen.” Ein Nährboden für Tratsch und Klatsch, der für Homosexuelle und andere Minderheiten zur Qual werden kann. Wenn jemand mit seinem “Lover” telefoniert, bekomme es jeder mit. Wenn jemand sich ständig aus gemeinsamen Unternehmungen herauszieht, falle es irgendwann auf.
Schwerwiegend ist auch das, was die Männer in ihrer Heimat zurücklassen. Als homosexuelles Paar auf einem vollen Flüchtlingsboot auf dem Mittelmeer? Das kann böse enden. Schwule Flüchtlinge ziehen darum meistens ohne ihren Partner los, damit sie auf dem Weg nicht auffallen. Zwangsläufig verlassen sie ihre Liebsten. “Viele wissen auch, dass sie ihre Familien durch diese Entscheidung langfristig beschädigen”, sagt Ellen Kiebacher. Ihnen falle es schwer, sich von ihrer Religion, Familie und Gesellschaft zu lösen. “Sie müssen erst einmal das Selbstvertrauen aufbauen, um zu sagen: Ich bin nicht falsch, die anderen und das System sind falsch.
Sie tastet sich in den Flüchtlingsheimen langsam heran. Die Präventionsarbeit richtet sich an alle. Jeder und jede bekommt einen Flyer zum Thema HIV und Aids und eine Packung Kondome, wenn sie vor Ort ist. Ab und zu spricht jemand sie an, fragt zum Beispiel nach einem Deutschkurs. “Wir wissen oft vorher, wo diese Gespräche hinführen”, sagt Ellen Kiebacher. Die Menschen öffnen sich erst nach und nach. Ellen Kiebacher spricht bei Info-Veranstaltungen über heterosexuellen und homosexuellen Geschlechtsverkehr. “So sehen die Leute, dass das normal ist.” Dass sie sich mit vielen Fragen an die Aids-Hilfe wenden können. Claas Hüers Part ist die Beratung von schwulen und bisexuellen Flüchtlingen zu Fragen ihrer sexuellen Identität: Partnersuche, sexuelle Gesundheit, falsche und richtige Erwartungen.
“Die Solidarität der LGBTI gegenüber Flüchtlingen ist groß”, sagt Claas Hüer - und warnt: “Aber Menschenliebe allein reicht nicht.” Man könne so viel kaputtmachen. Durch falsche Informationen - etwa die Empfehlung, bei einem Asylantrag nicht den wahren Grund zu nennen. Weil es dem Flüchtling so schwer fällt. Ein folgenschwerer Tipp: “Das ist nett gemeint, ein Antrag im beschleunigten Verfahren kann aber deshalb platzen.” Später gebe keine Chance mehr, den Grund der sexuellen Verfolgung nachzutragen. Denn man müsse sofort alle Gründe benennen. Schon für die Aids-Hilfe sei die Beratung schwierig, weil die beschleunigten Asylverfahren meistens im ersten Monat stattfinden und der Kontakt ja erst einmal zustandekommen muss.
Professionelle Berater könnten auch einen Anwalt vermitteln, der genauer darauf hinweist, welche Punkte wichtig für den Asylantrag sind: Liegt ein sexueller Missbrauch vor? Hat der Betroffene in seiner Heimat wegen seiner Homosexualität keinen Zugang zum Studium?
Über homosexuelle Flüchtlinge aus den arabischen Ländern hört und liest man viel. Die Aids-Hilfe Oldenburg macht aber auf eine weitere Gruppe aufmerksam, die auf der Suche nach einem freien Leben nach Deutschland kommt: die LGBTI aus Osteuropa. Die Flüchtlinge aus Bulgarien, Russland und anderen Ost-Staaten haben laut Ellen Kiebacher zwar einen komfortableren Aufenthaltsstatus. Aber: Sie müssen arbeiten. Das sei aber aufgrund von Erkrankungen oder wegen ihres Selbstfindungsprozesses nicht immer möglich. Sozialleistungen bekommen sie nicht. “Das ist eine Betrachtungslücke”, sagt Claas Hüer. “Die Osteuropäer fallen durch. Das Problem wird in der Praxis nicht aufgefangen.” Ellen Kiebacher: “Besser wäre es, wenn sie einen Asylstatus für ein halbes Jahr bekommen würden, um sich einzufinden.
Für alle LGBTI unter den Migranten wünschen Claas Hüer und Ellen Kiebacher sich den passenden Wohnraum - ob Einzelunterbingung oder WG. Das nehme den Menschen den Druck, die Angst. “Aber in Oldenburg ist das utopisch”, meint Claas Hüer. Wichtig sei auch die weitere Sensibilierung von Personal. “Wir haben seit diesem Jahr im Präventionsbereich zwei zusätzliche Mitarbeiter, die von der Stadt bezahlt werden.” Auf die seien sie dringend angewiesen, wenn sie ihre Arbeit so weiterführen können, wie sie sie begonnen haben.
“Es wäre schade, wenn die Stadt das Geld im nächsten Jahr streichen würde”, sagt Claas Hüer - zumal sich die Präventions- und Anti-Diskriminierungsarbeit in den Heimen ja längst nicht nur an Flüchtlinge richtet. “Wenn es um das Recht auf sexuelle Selbstbestimmtheit geht, fallen viele Menschen darunter”, sagt Ellen Kiebacher. Zum Beispiel auch Frauen und Kinder. Und wenn sie vor einer Gruppe Heterosexueller spreche, baue sie vielleicht bei dem ein oder anderen, Vorurteile ab. “Für uns geht darum, als Ansprechpartner sichtbar und ein Symbol des Ganzen zu sein.”
Titelbild: Imago
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